Im Turmzimmer des Rathauses versammelten sich am 05.04.2011 um 19 Uhr zahlreiche Interessierte, um sich über den demographischen Wandel und seine Folgen für Weingarten zu informieren. Die WBB hatte als Fachreferenten Herrn Dr. Sebastian Wilske (Abb. 1) gewinnen können. Er ist Stellvertretender Leiter des Regionalverbandes Mittlerer Oberrhein und verfügt über profunde Kenntnisse zu diesem Thema, das alle betrifft und schon jetzt für die nächsten 20 bis 40 Jahre zu einem generellen Umdenken führen muss.
In seinem äußerst anschaulichen und hervorragend verständlichen Vortrag zeigte Dr. Wilske eindrücklich, dass sich bis zum Jahr 2050 die Lebenserwartung auf 84 und 88 Jahre erhöhen werde bei gleichzeitigem Rückgang der Geburtenzahlen. Insgesamt werde bis 2030 ein Bevölkerungsrückgang in der Region „Mittlerer Oberrhein“ um ca. 2,75 % erwartet, während für andere Bereiche Baden-Württembergs durchaus bis zu ca. 6 % prognostiziert werden.
Für die Entwicklung der so genannten „Alterspyramide“ (Abb. 2) sei Weingarten, so Dr. Wilske, ein Paradebeispiel innerhalb der Region. Während heute der „Bauch“ bei den 40- bis 50-Jährigen liege, werde sich dieser bis 2030 logischerweise dann zu den 60- bis 70-Jährigen verschieben. Kurz gesagt, werde Weingarten in 20 Jahren ca. 2500 Einwohner im Alter zwischen 60 und 80 Jahren haben, also etwa 25% der Bevölkerung. Hinzu kämen ca. 500 Personen über 80 Jahren. Auf einen Erwerbstätigen komme dann ein Nichterwerbstätiger.
Daher würden sich aus dieser demographischen Entwicklung heraus ganz andere Anforderungen ergeben, da dann die Mehrheit der Haushalte nicht mehr aus Familien mit Kindern, sondern aus Singles, kinderlosen Paaren und den so genannten „Jungen Alten“ im Alter von 55+ bestehen würden. Daraus würden sich logischer Weise ganz andere Anforderungen an Wohnbau, Infrastruktur und Versorgung ergeben.
Im Anschluss an den Fachvortrag von Dr. Wilske fand eine Podiumsdiskussion statt, für die außer dem Vortragenden noch Sigrid Kopf, Pflegedienstleiterin der Sozialstation Stutensee-Weingarten, Bürgermeister Eric Bänziger, der Geschäftsführer der ESB Kommunalprojekte AG Dr. Thomas Dopfer gewonnen werden konnten. Für die WBB sprach Gemeindrat Hans-Martin Flinspach auf dem Podium. Max Barth, Journalist und Geschäftsführer von Baden-TV, moderierte die gesamte Veranstaltung sehr ansprechend und professionell.
Aufgrund der dargestellten demographischen Entwicklung würden zukünftig die Themenbereiche „Wohnen“, „Versorgung“ und „Pflege“ eine zentrale Rolle einnehmen. Künftig würden laut Sigrid Kopf mehr Pflegeleistungen aufgrund der erwarteten Überalterung benötigt werden, wofür sowohl Fach- als auch Hilfspersonal in ausreichender Anzahl vorhanden sein sollte. In direktem Zusammenhang stehe auch ein sich wandelnder Bedarf im Wohnen, und zwar an Wohnraum, der dann nicht mehr primär durch Neubaugebiete am Ortsrand, sondern durch Gestaltung im Innenbereich des Ortskerns zu sehen sei, so Dr. Dopf er. Baulücken sollten sinnvoll geschlossen werden, ggf, müsse die Gemeinde in die Rolle eines „Mittlers“ durch Zwischenerwerb schlüpfen. Ganz wesentlich sei hierbei, dass ältere Menschen gern so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung bleiben möchten , wie Sigrid Kopf erläuterte, und die heutigen Wohnungen dafür häufig denkbar ungeeignet seien. Auch hier werde in den nächsten Jahren ein gestalterisches Umdenken stattfinden müssen.
Die Infrastruktur müsse dann ebenfalls stärker den Bedürfnissen und Erwartungen älterer Menschen an Dienstleistungen angepasst werden, wobei die Grundversorgung z.B. durch Arzt, Apotheke, Bäcker, Metzger, Getränkelieferant eine ebenso wichtige Rolle spielen würden wie die Angebote in der Freizeitgestaltung. Das Ganze müsse dann zentral und gut erreichbar sein.
Bürgermeister Bänziger beklagte in diesem Zusammenhang das Fehlen eines zentral gelegenen Ärztehauses. Er sehe einen zunehmenden Bedarf im Bereich „betreutes Wohnen“. Die Gemeinde Weingarten werde die Schaffung von barrierefreiem Wohnraum in der Ortsmitte unterstützen. Weiterhin rechnet er mit mehr Leerständen als heute und Abbruch von Häusern, die energetisch nur sehr aufwändig zu sanieren seien.
WBB-Gemeinderat Flinspach bestätigte dies, sieht aber eine große Chance zukünftig darin, auch in zweiter Reihe Baulücken zu füllen und sich künftig mehr der barrierefreien Bauweise zuzuwenden. Auch junge Menschen könnten gut in barrierefreien Wohnungen leben. Wenn sie älter werden, könnten sie um so länger in ihrer gewohnten Umgebung bleiben, gerade auch dann, wenn beim Neubau der Hauszuschnitt so gewählt werde, dass im Alter die Menschen durch nur wenige Änderungsmaßnahmen ihren Bedürfnissen entsprechend weiterhin zu Hause bleiben können. Insgesamt erfordere die künftige demographische Entwicklung eine langfristige Planung, die allerdings auch kurzfristiges Reagieren auf aktuelle Bedürfnisse ermöglichen sollte. Hierin stimmten alle Podiumsmitglieder abschließend überein.